Freie Rede und freie Kunst in einer offenen Gesellschaft ohne “Schmähkritik“?

Über die Auseinandersetzung um die Zulässigkeit des “Schmähgedichtes“ von Jan Böhmermann


Als Anwalt beschäftige ich mich immer wider auch mit Fragen des Äußerungsrechtes. Das Äußerungsrecht – welches man früher als Presserecht bezeichnen würde – betrifft Äußerungen in Form von Bildzitaten, Krisenkommunikation nach missverständlichen oder misslungenen Äußerungen in allen Medien oder auch Fragen, wie man besten auf krisenhafte persönliche Situationen oder Unternehmenskommunikationskrisen reagiert.

Natürlich betrifft das Äußerungsrecht aber auch Meinungsäußerungen oder Tatsachenbehauptungen, welche durch Künstler*Innen verbreitet werden.

Dazu habe ich im „Archiv für Presserecht (AfP)“ 2016 einen Artikel zu der Frage veröffentlicht, ob die Freiheit der Kunst oder die Freiheit der Rede ohne Schmähkritik denkbar wäre (http://www.afp-medienrecht.de/45112.htm).

Dabei handelt es sich um den Fall Böhmermann, welcher in meinen Augen sehr wohl die Frage stellt, inwiefern denn der Begriff der Schmähkritik nicht viel zu subjektiv ist, um als Bewertungsmaßstab für Art. 5 GG zu dienen.

Im Gegensatz zu dem Bundesverfassungsgericht lehnt nämlich der US Supreme Court zu subjektive Bewertungsmaßstäbe für die Beurteilung von Äußerungen gerade auch im Bereich der Diskussion von öffentlichen Belangen ausdrücklich ab.

Gerade auch die Rechtsprechung zur Meinungsäußerungsfreiheit seitens des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) bedarf in dieser Hinsicht einer kritischen Überprüfung. Dies gilt aber nicht nur für die Meinungsäußerungsfreiheit sondern auch die Kunstfreiheit.


2016 Mein Artikel zur Schmähkritik

Froehlich, Jan L., Freie Rede und freie Kunst in einer offenen Gesellschaft ohne “Schmähkritik“?, AfP 2016, 312-318

Ausgehend von der Auseinandersetzung um die Zulässigkeit des “Schmähgedichtes“ von Jan Böhmermann beschäftigt sich der Beitrag mit der Frage, ob nicht ausgehend vom Grundsatz des “Marktplatz der Ideen“ und der “Neutralität des Staates“ des US Supreme Courts und dessen Auffassungen im Bereich des “Freedom of Speech“ und der Freiheit der Kunst zu einem Überdenken der bisherigen Rechtsprechung von BVerfG und EGMR führen sollten.

Inhaltsverzeichnis der Zeitschrift AfP
Der Aufsatz bei juris.de (Login erforderlich)

2016 Interview zum Thema

Ich habe ein Interview zu der Causa Böhmermann gegeben, um dort noch einmal meinen Standpunkt zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur sogenannten „Schmähkritik“ zu erläutern

Lesen Sie das Interview bei KressNews

2017 Kommentar zu dem Urteil des Landgerichtes Hamburg

Ich habe einen Kommentar zu dem Urteil des Landgerichtes Hamburg, vom 02.11.2016 , am 10. Februar 2017 in Sachen Erdogan ./. Böhmermann geschrieben, der auf kress.de veröffentlich wurde: „Zum Urteil des Landgerichts Hamburg gegen Jan Böhmermann: Was ist uns die Kunstfreiheit wirklich wert?“

Zum Kommentar bei KressNews

Meine Meinung

Ausgehend von der Philosophie und den Grundprinzipien der „offenen Gesellschaft“ von Karl Popper untersucht die Arbeit die Frage, welche Anforderungen eine offene Gesellschaft an eine Rechtsprechung hat, welche einen offenen Kommunikationsprozess gewährleisten soll.

Das Prinzip des „skeptischen Rationalismus“ stellt dabei das selbstverantwortliche Individuum in den Mittelpunkt, weshalb eine offene Gesellschaft geistige Unabhängigkeit und Kreativität gewährleisten müssen.

Dabei werden verschiedene Fälle der Rechtsprechung des US Supreme Courts, des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Hinblick auf die grundlegenden Prinzipien der unterschiedlichen Jurisdiktionen kritisch analysiert. Die neue Entscheidung des Landgerichtes Hamburg vom 17. Mai 2016 in der Causa Böhmermann wurde bei dieser Analyse schon berücksichtigt.

Ausgangspunkt der Analyse sind die durch die Rechtsprechung des Supreme Court entschiedenen Fälle, in welchen für die öffentliche Debatte von öffentlichen Angelegenheiten die Prinzipien des „Marktplatzes der Ideen“ und das „Gebot der Neutralität des Staates“ als maßgeblich heraus gearbeitet werden. Beide Prinzipien brächten die Würde der Menschen zum Ausdruck, welche sich für eine Demokratie und eine offene Gesellschaft entschieden haben.

Die Rolle des Staates sei es daher, diese Offenheit und Gleichheit des Kommunikationsprozesses für öffentliche Angelegenheiten in einer öffentlichen Debatte und das Selbstbestimmungsrecht für alle Beteiligten zu gewährleisten, die grundsätzlich selbst zu entscheiden haben, was sie äußern wollen. Die Aufgabe des Staates sei es, einen der Würde der Menschen entsprechenden offenen Kommunikationsprozess zu gewährleisten und Beschränkungen des Kommunikationsprozesses auch im Bereich der Parodie und der Satire zu verhindern.

Dies gälte unabhängig davon, ob Äußerungen mittels „qualitativ hochwertiger Parodien“ erfolgten oder durch Hass und Böswilligkeit motiviert würden. Gerade bei Parodien, „die so willkommen seien wie ein Bienenstich“ (Supreme Court in „Hustler vs Falwell“) oder manchmal auch nur eine „armselige Verwandtschaft der politischen Karikatur darstellen“ (Supreme Court in „Hustler vs Falwell“) müsse der Staat für öffentliche Angelegenheiten einen offenen Kommunikationsprozess gewährleisten. Vertieft wird jedoch auch dem „Gebot der Neutralität des Staates“ im Hinblick auf den Verzicht auf solche Entscheidungsmaßstäbe nachgegangen, welche auf subjektiven Wertungen beruhten.

Die Untersuchung setzt sich dabei auch mit Fragen des gleichberechtigten Dialogs zwischen Bürgern und Beamten und Richtern auseinander. Aber auch die Frage der Vermeidung abschreckender Wirkungen („chilling effects“) auf die Freiheit der Rede durch eine Rechtsprechung, die nicht auf subjektive Wertungen verzichtet, wird erörtert.

Die Untersuchung kontrastiert diese Rechtsprechung mit verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes und seinem Ansatz, einen den Kommunikationsprozess kontrollierenden Abwägungsprozess vorzunehmen und den daraus resultierenden Entscheidungen.

Dabei werden nicht nur die Ergebnisse diskutiert, sondern gerade auch die Herausforderungen an eine Rechtsprechung eines Verfassungsgerichtes, welches mit den Anforderungen von offenen Kommunikationsprozessen in einer freien Gesellschaft konfrontiert wird. Gleichzeitig ist das Verfassungsgericht durch die Diskussion um das Gebot der Neutralität des Staates aber auch gezwungen, sich mit seiner historischen Verantwortung als Teil einer Justiz zu befassen, welche eine tragende Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus gespielt hat.

Die Arbeit setzt sich dann mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte(EGMR) auseinander, der ebenfalls einen kontrollierenden, abwägenden Ansatz verfolgt und sich immer wieder mit den Herausforderungen der öffentlichen Debatte zu öffentlichen Angelegenheiten konfrontiert sieht.

Auch die Untersuchung einer größeren Anzahl von Fällen des EGMR zeigt, dass die Gewährleistung offener Kommunikationsprozesse im diametralen Gegensatz zu dem von dem Gerichtshof praktizierten kontrollierenden Ansatz steht. Auch das Gebot der Neutralität der Staaten in offenen Kommunikationsprozessen findet bei dem EGMR keinen Niederschlag und stellt dessen Rechtsprechung grundsätzlich in Frage.

Dies gilt umso mehr, als auch die Entscheidung des Landgerichtes Hamburg vom 17. Mai 2016, mittels derer umfangreiche Passagen der „Schmähkritik“ untersagt wurden, sich maßgeblich auf die EMRK bezog und damit die Notwendigkeit der Auseinandersetzung der Rechtsprechung des EGMR besonders unterstreicht.

Es stellt sich dabei insbesondere die Frage, inwiefern denn der EGMR und die deutschen Gerichte die politische Dimension der rechtlichen Auseinandersetzung in der Causa Böhmermann in einer adäquaten die offenen Kommunikationsprozesse schützenden Weise wahrnehmen und sie rechtlich zu berücksichtigen überhaupt in der Lage sind.



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