Psychiatrische Gutachten und das Recht auf Meinungsfreiheit

Psychiatrische Gutachten und das Recht auf Meinungsfreiheit ! Das Bundesverfassungsgericht und die anderen Bundesgerichte sind üblicherweise in einem Gerichtsverfahren großzügig, wenn "im Kampf um das Recht" Formulierungen und Ausführungen zu beurteilen sind. Auch der Vorwurf des Mordes ohne eine entsprechende Verurteilung stellt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes in einem Zivilverfahren keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte dar. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch am 20.06.2020 entschieden, dass in einem Verfahren vor einem Verwaltungsgericht ein Hinweis auf psychiatrische Gutachten eine strafbare Beleidigung darstellen können. Eine Verurteilung gemäß § 185 StGB stelle keine Verletzung des Rechtes auf eine freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 I GG dar.


Kunstrecht

Psychiatrische Gutachten und das Recht auf Meinungsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verurteilung gemäß § 185 StGB zurückgewiesen (1 BvR 2459/19, Beschl. v. 20.05.2020). Das Gericht sah in dieser Verurteilung keinen Verstoß gegen die durch Art. 5 I GG geschützte Meinungsfreiheit.

Äußerung in einem Verwaltungsgerichtsverfahren

Grund für die Verurteilung des Beschwerdeführers war eine Verurteilung wegen einer Beleidigung gegenüber der Leitung eines Rechtsamtes gemäß § 185 StGB.

Gegenstand des Verwaltungsgerichtsverfahrens war eine Auseinandersetzung um die Ausfüllung von Bestellscheinen in einer Stadtbibilothek. Nachdem es zu Streit um die Entrichtung einer Leihgebühr gekommen war, erstattete die Leitung des Rechtsamtes ein Strafverfahren wegen Urkundenfälschung gegen den Beschwerdeführer.

In dem Strafverfahren hatte der Beschwerdeführer die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens gegen die Amtsleitung beantragt. In dem Verwaltungsgerichtsverfahren nahm er auf dieses Verfahren und diesen Gutachtenantrag Bezug. Der Beschwerdeführer warf der Rechtsamtsleitung vor, eine „persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zur Begehung erheblicher Straftaten“ zu haben. „Geistig seelische Absonderlichkeiten und ein Gutachten zu deren Geisteskrankheit“ seien „Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen„.


der Bundesgerichtshof zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen in Zivilverfahren

Der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 28.02.2011, VI ZR 79/11) hat in einem Zivilverfahren entschieden, dass auch der Vorwurf eines Mordes in einem Zivilverfahren keine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstelle.

Auch wenn die Zivilpartei einen solch massiven Vorwurf nicht beweisen könne, sei dieser in dem dem Bundesgerichtshof vorliegenden Fall nicht als „wahrheitswidrig oder irreführend“ einzustufen. Dies gelte nach Ansicht des Bundesgerichtshofes auch dann, wenn vor dem Zivilverfahren entsprechende strafrechtliche Ermittlungen gemäß § 170 II StPO eingestellt worden waren.


Die verfassungsrechtlichen Abwägungen des Bundesverfassungsgerichtes

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer zusammenfassenden Mitteilung zu dieser Verfassungsbeschwerde erläutert, dass es die Gründe für die Verurteilung aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht beanstande.

Keine „Schmähkritik“ gemäß Art. 5 I GG

Im vorliegenden Fall handele es sich nicht um eine sogenannte „Schmähkritik“, da ein Sachbezug nicht vollkommen fehle.

Jedoch sei zwischen dem Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person gemäß Art. 1 I, 2 I GG und dem Grundrecht gemäß Art. 5 I GG, seine Meinung frei zu äußern abzuwägen.

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes falle diese Abwägung in diesem Falle zugunsten des Persönlichkeitsrechtes aus.


Kritische Würdigung

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes überzeugt mich in keiner Weise.

Der fehlende Schutz für „Schmähkritik“ gemäß Art. 5 I GG

Zu Recht stellt das Gericht fest, dass es keinen Grund gäbe, in diesem Fall von einer „Schmähkritik“ auszugehen. Diese Form der Kritik entbehrt gemäß der Rechtsprechung des Gerichtes regelmäßig des Schutzes gemäß Art. 5 I GG. Denn in diesem Fall stünde die Herabsetzung und Verächtlichung einer Person im Vordergrund.

Diesen Standpunkt halte ich aufgrund des Bezuges des Schriftsatzes auf den gesamten Rechtsstreit und den Hinweis auf das Gutachten im Rahmen des Strafverfahrens für zutreffend.

Die unvollständige Abwägung

Vor diesem Hintergrund ist dann aber die Abwägung des Verfassungsgerichtes nicht verständlich.

Selbstverständlich muss es das Recht einer Partei sein, auch in einem Strafverfahren Fragen der Gesundheit einer Person und zwar auch der geistigen Gesundheit zu thematisieren.

Der Schutz verstörender und schockierender Äußerungen durch das Grundgesetz, die EMRK und die EU – Grundrechtecharta

Dies mag verstörend oder schockierend sein und heftigster Kritik ausgesetzt werden. Nur sind gerade auch solche Äußerungen durch das Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Europäische Grundrechte-Charta geschützt.

Gerade auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zeigt, dass zur Zeit Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht unterschiedliche Maßstäbe anlegen.

Der Schutz der „Waffengleichheit“ im Prozessrecht

Im Sinne eines die Verfahrensrechte aller Parteien schützenden Auslegung der Verwaltungsgerichtsordnung sollten jedoch auch solche wie die streitgegenständlichen Äußerungen möglich sein.

Dies gilt insbesondere dann, wenn wie in dem vorliegenden Fall beide Prozeßparteien einen den eigentlichen Prozeßgegenstand weit überschreitende schwere Anschuldigungen und rechtliche Mittel genutzt haben.

Der Streit zwischen Staat, Justiz und einzelnen Personen – eine die Freiheit gewährleistende Vermutung zu Gunsten einzelner Personen

Dies gilt auch insbesondere dann, wenn wie im vorliegenden Fall staatliche Organe einerseits – Rechtsamt, Staatsanwaltschaft und Strafgericht und eine einzelne Person einander gegenüberstehen.

Gerade in solchen Verfahren müssen einzelnen Person alle die durch die Prozessordnungen gewährte Rechte unbeschränkt zustehen.

Daher müssen auch solche Hinweis, welche Gegenstand gerichtlicher Verfahren sind oder sein können, Erwähnung finden müssen.

Der souveräne Umgang mit Kritik und die Möglichkeit eines selbstkritischen Blickes der Justiz

Die in den Medien bekannten Fälle von Harry Wörtz, Jörg Kachelmann oder Gustl Mollath haben ganz erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit staatlicher und gerichtlicher Entscheidungen entstehen lassen.

So unberechtigt im Einzelfall auch Hinweise auf psychiatrische Gutachten seien mögen, so wenig bedarf es eines Eingriffes der Strafjustiz in diesen Fällen heftigster Auseinandersetzungen.

In allen drei vorgenannten Fällen haben die letztendlich entscheidenden Gerichte glücklicherweise – wenn auch zum Teil erst nach vielen Jahren – gezeigt, dass ein souveränder Umgang mit diesen Äußerungen und ein selbstkritischer Blick auf das Handeln staatlicher Behörden und der Gerichte der Justiz wieder zu Ansehen verholfen haben.



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