Schutz gegen Einstweilige Verfügungen - das Recht auf Gehör. Niemand möchte durch eine Einstweilige Verfügung überrascht werden, wenn man von einem Verfügungsverfahren keine Kenntnis hatte. Kann man sich gegen eine Einstweilige Verfügung wehren, zu der man als Unternehmen oder als Person nicht gehört wurde ? Das Bundesverfassungsgericht betont in einem Beschluss, dass das Verfassungsrecht auf rechtliches Gehör in jedem Fall geachtet werden muss. Dies gelte zum Beispiel für das Presse- wie auch das Lauterkeitsrecht. Hat man auf eine Abmahnung geantwortet, so darf eine Einstweilige Verfügung ohne vorherige mündliche Verhandlung nur erlassen werden, wenn der Gegenstand der Abmahnung und die Einstweilige Verfügung identisch sind. Möchte man sich gegen den Erlaß einer Einstweiligen Verfügung wehren, so muß man prüfen, ob es sich "im Kern gleiche Vorwürfe" handelt.
das Verfassungsrecht auf rechtliches Gehör
Gemäß Art. 103 I GG hat jedermann vor Gericht das Recht auf rechtliches Gehör.
Das Bundesverfassungsgericht betont in seiner ständigen Rechtsprechung die Bedeutung dieses Verfassungsrechtes insbesondere auch für das Presserecht und das Lauterkeitsrecht.
Für Gerichtsverfahren bedeutet dies, dass grundsätzlich eine Entscheidung erst dann ergeht, wenn die Standpunkte beider Seiten dem Gericht vorliegen.
Antrag auf Erlaß einer Einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung
Im Einstweiligen Verfügungsverfahren ist es aber üblich, einen Antrag auf Erlaß einer Einstweiligen Verfügung wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit mit der Maßgabe zu stellen, dass ein Beschluss ohne die Anhörung der Gegenseite erfolgt.
Bundesverfassungsgericht - rechtliches Gehör bei kerngleichen Rechtsverletzungen
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 27. Juli 2020 (Az.: 1 BvR 1379/20) entschieden, wann in einem Einstweiligen Verfügungsverfahren das Recht auf rechtliches Gehör Beachtung findet.
In einem Fall des Lauterkeitsrechtes führt schon eine Abmahnung und eine Antwort darauf zu einer „prozessualen Waffengleichheit“, wenn beide Schreiben dem Gericht vorliegen. Denn aus diesen Schreiben ergeben sich die vorgeworfene Tatsache und der Rechtsverstoß. Beide sind wichtig, um den sogenannten prozessualen Anspruch zu definieren (vgl. BGH., Urt. v. 04. Juli 2014, V ZR 298/13).
Abmahnung und Einstweiliges Verfügungsverfahren betreffen „kerngleiche Verletzung“
Sind Abmahnung und der Antrag der antragstellenden Partei im Einstweiligen Verfügungsverfahren identisch, so kann ein Gericht nach Ansicht des Verfassungsgerichtes entscheiden. Durch die Vorlage des Schreibens des abgemahnten Unternehmens ist dessen Standpunkt dem entscheidenen Gericht bekannt.
Voraussetzung für eine Einstweilige Verfügung ist aber, dass der Inhalt der Abmahnung und der Antrag auf Erlaß der Einstweiligen Verfügung identisch sind.
geringfügige Abweichungen gemäß BVerfG unerheblich
Sogar dann, wenn eine Identität nicht vorliegt, so sind kleinere Abweichungen unerheblich. Das Verfassungsgericht geht davon aus, dass es ausreicht, wenn „kerngleiche Rechtsverstöße“ vorliegen.
Verfahrensleitende Hinweise verpflichten zur Anhörung der Gegenseite
Anders vehält es sich nach Ansicht des Verfassungsgerichtes im Falle gerichtlicher Hinweise zur Nachbesserung des Antrages. In diesem Fall hat die jeweilige Gegenseite auf jeden Fall einen Anspruch auf rechtliches Gehör.
kritische Anmerkung
Das Verfassungsrecht auf Anhörung des eigenen Standpunkt betrifft den Kern des sogenannten „kontradiktorischen Verfahrens“.
Jede Prozesspartei kann dieses Recht grundsätzlich vor einer gerichtlichen Entscheidung geltend machen.
Aus diesem Grunde sind die Ausführungen des Verfassungsgerichtes sehr zu begrüßen. Sie definieren die Situation, in welcher die Anhörung gerichtlich durchgesetzt werden kann.
Jedoch sollte man sich nicht darauf verlassen, dass der eigene Standpunkt alleine aufgrund einer Antwort vor Gericht vollständig Beachtung findet. Eine Möglichkeit, den Standpunkt als Antragsgegner zu verdeutlichen besteht darin, durch einen Rechtsanwalt bei Gericht eine sogenannte „Schutzschrift“ zu hinterlegen.
prozessualer Anhörung durch eine „Schutzschrift“
Ein solcher Schriftsatz kann nicht nur verhindern, dass eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht. Durch einen solchen Schutzschrift kann man auch für den Antragsteller unbekannte Tatsachen und Rechtsansichten vortragen.
Abmahnung – eine gründliche vorherige anwaltliche Prüfung
In jedem Fall sollte eine Abmahnung aber immer zu einer gründlichen anwaltlichen Prüfung und Beratung führen. Weder sollte man zu schnell eine – unter Umständen – unberechtigte Unterlassungserklärung unterzeichnen, die einen jahrelang beschäftigt.
Noch sollte man Kosten einer Abmahnung übernehmen, wenn man vielleicht einen Anspruch auf Ersatz der eigenen Kosten gegen den Gegner hat, der einen zu Unrecht abgemahnt hat.