Mein erster Fall als Presserechtsanwalt betraf die Berichterstattung der Berliner "BZ" über den Verdacht eines versuchten Totschlags angeblich seitens eines aus dem Kosovo stammenden Albaners. Vor einer Berliner Diskothek war ein Türsteher niedergestochen worden und die Redakteurin der BZ berichtete mit einem Bild und unter Nennung des vollen Namens über meinen Mandanten, der "der Täter sei". Nach der rechtswidrigen Festnahme und der Überprüfung des Alibis musste der Mandant umgehend entlassen werden. Aufgrund meiner Intervention war die BZ gezwungen, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Zudem musste sie ein erhebliches Schmerzensgeld und die Anwaltskosten zahlen, ihre Berichterstattung korrigieren und sich für die Darstellung entschuldigen. Während es im Fall meines damaligen ansonsten unbekannten Mandanten so möglich war, auf diese Art und Weise die schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechtes zu korrigieren, setzt Krisenkommunikation früher an. Bei bekannten Persönlichkeiten oder Unternehmen kommt es von Anfang darauf an, solche eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu vermeiden.
Die Verdachtsberichterstattung - die Meinungsfreiheit und der Persönlichkeitsrechtsschutz
Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz sind bedeutende Pfeiler der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Der Anspruch, informiert zu werden, rechtfertigt auch die Verdachtsberichterstattung. Die Krisenkommunikation soll gewährleisten, dass der Persönlichkeitsrechtsschutz gewahrt bleibt.
Verdachtsberichterstattung beschreibt dabei die „identifizierende Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren“ gegen eine Person oder ein Unternehmen, wobei die Tatsachenbehauptungen noch ungeklärt sind.
Verdachtsberichterstattung ungeklärter Tatsachenbehauptungen zur Wahrnehmung berechtigter Interessen
Der Bundesgerichtshof hält eine Berichterstattung über ungeklärte Tatsachenbehauptungen für zulässig, soweit diese eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft. Diese Berichterstattung muss jedoch der Wahrnehmung berechtigter Interessen dienen (vgl. BGH, VI ZR 1241/20; Urteil vom 16.11.2021).
Kriterien einer zulässigen Verdachtsberichterstattung
In einer weiteren Entscheidung – (vgl. BGH, VI ZR 262/21, vom 20. Juni 2023 ) definierte der BGH die Kriterien einer zulässigen Verdachtsberichterstattung : „Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.
Keine Darstellung einer angeblich nachgewiesenen Straftat / Möglichkeit der Stellungnahme des Betroffenen / Vorgang von gravierendem Gewicht
Der Bundesgerichtshof läßt eine Verdachtsberichterstattung somit nur unter bestimmten Voraussetzungen zu. Das Gericht ( vgl. BGH, VI ZR 1241/20; Urteil vom 16.11.2021) fordert:
„Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist„.
Die Verdachtsberichterstattung – „ein Mindestbestand an Beweistatsachen“
Der Bundesgerichtshof fordert für die sogenannte „Verdachtsberichterstattung“ einen Mindestbestand an Beweistatsachen, die Möglichkeit der Stellungnahme des Betroffenen und einen Vorgang von „gravierenden Gewicht“ (vgl. BGH, VI ZR 1241/20; Urteil vom 16.11.2021) .
Anforderungen an Recherchepflichten und Wahrheitspflicht – keine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Meinungsfreiheit
Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht meinen „Dürfte die Presse, falls der Ruf einer Person gefährdet ist, nur solche Informationen verbreiten, deren Wahrheit im Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits mit Sicherheit feststeht, so könnte sie ihre durch Art. 5 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Aufgaben bei der öffentlichen Meinungsbildung nicht durchweg erfüllen (BVerfGE 97, 125, 149).
Daher macht man sich bei Medien üblicherweise zur Regel, mindestens zwei Stimmen zu einem Sachverhalt zu hören.
Der Vorrang des Informationsinteresses im Abwägungsprozess des Persönlichkeitsrechtes nur nach Möglichkeit der Stellungnahme der betroffenen Person
Der Bundesgerichtshof vertritt die Ansicht „Deshalb verdient im Rahmen der gebotenen Abwägung zwischen dem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit regelmäßig die aktuelle Berichterstattung und mithin das Informationsinteresse jedenfalls dann den Vorrang, wenn die publizistischen Sorgfaltsanforderungen eingehalten sind„.
Dieser Vorrang des Informationsinteresses besteht jedoch nur, soweit dem Betroffenen die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wurde. Gab es diese Möglichkeit der Stellungnahme nicht, kann die gesamte Darstellung somit unzulässig sein und untersagt werden.
Unzulässigkeit auch der Bildberichterstattung
Aufgrund der Unzulässigkeit der Wortberichterstattung kann es zudem auch im kontextualen Zusammenhang zu einer Unzulässigkeit der Wiedergabe von Bildern kommen.
Konsequenzen für die Krisenkommunikation - die Pflicht der Möglichkeit der Stellungnahme zu gewähren
Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes lassen sich verschiedene Schlussfolgerungen für eine erfolgreiche Krisenkommunikation ziehen.
Grundsätzliche Erreichbarkeit und Verfügbarkeit relevanter Informationen
Aufgrund der Verpflichtung seitens des Bundesgerichtshofes, dass vor einer Veröffentlichung die Betroffenen zu hören sind, sollten umgehend die entsprechenden Berater verpflichtet und eine Kommunikationsstrategie entwickelt werden. Es empfiehlt sich, sowohl spezialisierte Berater wie Anwälte zu engagieren, nicht zum Unternehmen gehören.
Bereitstellung beweiskräftiger Dokumente oder Aussagen
Im Hinblick auf die üblichen sehr kurzen Fristen sollten jederzeit aussagekräftige Dokumente oder Zeugenaussagen, am besten in Form Eidesstattlicher Versicherungen zur Verfügung stehen.
Verantwortlichkeiten und Ansprechpartner definieren und bekannt machen
Dazu müssen Verantwortlichkeiten im Unternehmen oder bei Betroffenen definiert und Sprecherfunktionen festgelegt werden.
Hinterlegung von Informationen
Gegebenenfalls kann es auch sinnvoll sein, auf Medien proaktiv zuzugehen und dort bestimmte Informationen zu hinterlegen. Dies erfordert jedoch eine sorgfältige Recherche. Da die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes keine Beeinträchtigung der Meinungsvielfalt durch „überspannte“ Anforderungen an Recherchen und Wahrheitspflicht zuläßt, kann es sehr sinnvoll sein, entsprechende beweiskräftige Informationen zu versenden.